Chronische Schmerzen und ADHS – auf den ersten Blick scheinen diese beiden Phänomene wenig gemeinsam zu haben. Doch eine kürzlich veröffentlichte Studie im Scandinavian Journal of Pain hat spannende Verbindungen zwischen diesen beiden Bereichen aufgezeigt. Die Forscher stellten fest, dass Menschen mit ADHS häufiger unter chronischen Schmerzen (ChP) leiden und dass muskuläre Dysregulation eine Schlüsselrolle spielt. Wenn du also sowohl mit ADHS als auch mit anhaltenden Schmerzen zu kämpfen hast, könnte es sich lohnen, diese Verbindung näher zu betrachten.
Was hat die Studie herausgefunden?
Die Studie untersuchte 121 Erwachsene mit psychiatrischen Störungen, die in eine ambulante psychiatrische Klinik überwiesen wurden. Dabei fanden die Forscher heraus, dass ADHS bei Patienten mit chronischen Schmerzen weitaus häufiger vorkommt als bei jenen ohne Schmerzen. Rund 80 % der Patienten mit chronischen Schmerzen erfüllten die diagnostischen Kriterien für ADHS, während dies nur bei 40 % der Patienten ohne chronische Schmerzen der Fall war.
Doch die Untersuchung ging noch weiter. Sie zeigte, dass chronische Schmerzen bei ADHS-Patienten nicht nur häufiger auftreten, sondern auch anders sind. Insbesondere hatten Menschen mit ADHS eine höhere Muskelspannung (muskuläre Dysregulation), was zu axialen Schmerzen führt – also Schmerzen entlang der Wirbelsäule, im Nacken, Rücken und Hüftbereich. Diese Schmerzen begannen häufig schon im frühen Erwachsenenalter oder sogar in der Jugend und waren oft weit verbreitet.
Warum treten chronische Schmerzen bei ADHS häufiger auf?
Die genauen Mechanismen, warum Menschen mit ADHS häufiger unter chronischen Schmerzen leiden, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere mögliche Erklärungsansätze, die in der Studie aufgeführt werden:
- Muskuläre Dysregulation: Die Studie fand heraus, dass Menschen mit ADHS häufig eine erhöhte Muskelspannung aufweisen, die als Hauptursache für ihre Schmerzen gelten könnte. Diese Muskelverspannungen treten oft in den stabilisierenden Muskeln des Körpers auf, wie den Muskeln entlang der Wirbelsäule (axial), im Nacken, Rücken, Brustbereich und in den Hüften. Durch die anhaltende Spannung in diesen Bereichen können chronische Schmerzen entstehen.
- Früher Beginn und weit verbreitete Schmerzen: Ein weiteres Merkmal der Schmerzen bei ADHS-Patienten war deren frühes Auftreten. Viele berichteten, dass ihre Schmerzen schon in der Kindheit oder Jugend begannen. Darüber hinaus waren die Schmerzen oft nicht lokal begrenzt, sondern weit verbreitet im Körper. Das bedeutet, dass Betroffene nicht nur an einem spezifischen Punkt Schmerzen haben, sondern dass der Schmerz sich auf verschiedene Körperregionen ausbreitet.
- Dopamindysregulation: ADHS wird oft mit einer Dysregulation des Dopaminsystems in Verbindung gebracht. Dopamin spielt nicht nur eine Rolle bei der Aufmerksamkeitsregulation und Impulskontrolle, sondern auch bei der Regulierung der Muskelaktivität und der Schmerzwahrnehmung. Eine gestörte Dopaminfunktion könnte also sowohl zu den ADHS-Symptomen als auch zu den chronischen Schmerzen beitragen.
- Chronische Muskelverspannungen und Schmerzempfindlichkeit: Eine weitere Theorie besagt, dass die chronischen Muskelverspannungen, die viele Menschen mit ADHS erleben, zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führen können. Diese langfristige Muskelanspannung könnte das Schmerzempfinden verstärken und so zu chronischen Beschwerden führen. Einige Studien legen nahe, dass Stimulanzien, die zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden, diese Muskelverspannungen lindern und damit auch die Schmerzen reduzieren können.
- Mögliche Zusammenhänge von ADHS / Autismus mit Ehlers-Danlos-Syndrom und Bindegewebsstörungen
Welche Auswirkungen haben diese Ergebnisse für Betroffene?
Für Menschen mit ADHS und chronischen Schmerzen sind die Erkenntnisse dieser Studie von großer Bedeutung. Sie zeigen, dass chronische Schmerzen bei ADHS nicht einfach nur zufällig auftreten, sondern Teil eines größeren Musters sein könnten. Besonders die Tatsache, dass muskuläre Dysregulation und eine erhöhte Muskelspannung eine zentrale Rolle spielen, bietet neue Ansätze für die Behandlung.
Hier sind einige konkrete Ansätze, die du in Erwägung ziehen könntest:
- Physiotherapie und muskuläre Entspannung: Da die Studie zeigt, dass Muskelverspannungen eine Schlüsselrolle bei den Schmerzen spielen, könnten physiotherapeutische Maßnahmen und gezielte Entspannungsübungen eine effektive Behandlungsoption sein. Diese könnten helfen, die Muskelspannung zu reduzieren und so die Schmerzen zu lindern.
- Medikamentöse Behandlung: Interessanterweise deuten einige Studien darauf hin, dass Stimulanzien, die bei ADHS eingesetzt werden, nicht nur die ADHS-Symptome verbessern, sondern auch die Schmerzempfindlichkeit und Muskelspannung verringern können. Wenn du bereits Medikamente gegen ADHS nimmst, könnte dies also auch positive Effekte auf deine Schmerzen haben. Ich s elber habe auf jeden Fall schon zahreiche positive Erfahrungen mit Psychostimulanzien bei PatientInnen mit chronischen Schmerzsyndromen machen können.
- Frühe Diagnose und Prävention: Da die Schmerzen bei vielen Patienten schon in der Kindheit oder Jugend begannen, ist es wichtig, frühzeitig zu handeln. Eine frühzeitige Diagnose von ADHS und die Behandlung der muskulären Dysregulation könnte dazu beitragen, das Fortschreiten der Schmerzen zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.
Was macht die Schmerzen bei ADHS so besonders?
Die Studie zeigt deutlich, dass die Art der Schmerzen bei ADHS-Patienten qualitativ anders ist als bei Menschen ohne ADHS. Die Schmerzen treten häufiger entlang der Wirbelsäule (axial) auf und sind oft weit verbreitet. Dies könnte darauf hinweisen, dass ADHS nicht nur eine neuropsychologische Störung ist, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf den Körper hat.
Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie war, dass andere psychiatrische Störungen wie Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen keine signifikante Rolle bei der Entstehung axialer Schmerzen spielten. Das bedeutet, dass die Schmerzen in erster Linie auf die ADHS-Symptomatik zurückzuführen sind und nicht auf andere psychische Faktoren.
Fazit: Chronische Schmerzen als Teil von ADHS
Die Ergebnisse dieser Studie werfen ein neues Licht auf die Verbindung zwischen ADHS und chronischen Schmerzen. Sie zeigen, dass ADHS-Patienten nicht nur häufiger unter Schmerzen leiden, sondern dass diese Schmerzen oft auf muskuläre Dysregulation zurückzuführen sind. Dies bietet neue Ansätze für die Behandlung von Schmerzen bei ADHS-Patienten, sei es durch physiotherapeutische Maßnahmen, medikamentöse Behandlungen oder gezielte Entspannungstechniken.
Wenn du sowohl mit ADHS als auch mit chronischen Schmerzen kämpfst, lohnt es sich, diese Zusammenhänge mit deinem Arzt oder Therapeuten zu besprechen. Es könnte sein, dass du von einer gezielteren Behandlung deiner Muskelspannung und einer frühzeitigen Therapie profitieren könntest.