Wir Menschen mit ADHS/ADS wissen oft nicht oder vergessen immer wieder, dass ADHS/ADS eben unter momentanen “Lebensbedingungen” in der Gesellschaft “wie eine lebensverkürzende Krankheit” wirkt, die unbehandelt laut Studien durchaus zwischen 11 und 13 Jahren Lebenszeit nimmt. Niemand käme auf die Idee, jemanden z.B. mit Diabetes für dessen Defizite “die Schuld zu geben”. Genau das passiert aber mit AD(H)Sler:innen.
Deshalb hier mal eine kleine Metapher, die verdeutlicht, wie unsinnig es ist, wenn wir uns selbst die Schuld daran geben, nicht alles zu können, was von uns erwartet wird oder wir selbst von uns erwarten:
Es war einmal ein Mann namens Paul, der seit seiner Kindheit mit ADHS zu kämpfen hatte. Die Welt um ihn herum schien immer wieder zu sagen, dass er sich nur mehr anstrengen müsse. “ADHS? Das ist doch bloß eine Ausrede,” hörte er oft.
Paul fühlte sich schuldig für seine Schwierigkeiten, seine Unordnung, seine Unpünktlichkeit und sein ständiges „Anderssein“. Er hielt sich selbst für faul, unorganisiert und manchmal sogar dumm, obwohl er sich bemühte, mitzuhalten.
Neben Paul lebte Lisa, die Diabetes Typ 1 hatte. Lisa musste jeden Tag Insulin spritzen und auf ihre Ernährung achten, um gesund zu bleiben. Doch niemals wurde sie dafür verurteilt. Niemand sagte zu ihr: „Du musst einfach nur härter arbeiten, dann brauchst du das Insulin nicht.“ Stattdessen bekam sie Unterstützung, Verständnis und das Wissen, dass ihre Erkrankung nicht ihre Schuld war. Es war einfach ein Teil von ihr, mit dem sie lernen musste zu leben.
Stell dir nun vor, Lisa würde genauso behandelt werden wie Paul. Man würde ihr sagen: „Du brauchst kein Insulin, reiß dich doch einfach zusammen!“ Oder: „Du willst doch nur Aufmerksamkeit, wenn du auf deinen Blutzucker achtest und wir extra für dich kochen müssen, weil du angeblich nicht alles verträgst.“ Lisa würde beginnen, sich für ihre Diabetes zu schämen. Sie würde das Insulin weglassen, aus Angst, als schwach abgestempelt zu werden. Und was würde passieren? Lisas Gesundheit würde sich drastisch verschlechtern. Ihre Organe würden Schaden nehmen, und ihr Leben würde sich um Jahre verkürzen.
Genauso verhält es sich bei Paul. Sein ADHS ist keine “Ausrede”, sondern ein Teil seiner Realität. Weil er jedoch in einer Welt lebt, die ihm ständig sagt, er sei faul oder unorganisiert, fällt es ihm schwer, Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Er kämpft gegen sich selbst, statt sich das „Insulin“ für seine Seele – in Form von Akzeptanz, Struktur, Therapie oder auch Medikamente – zu gönnen. Und genau wie bei Lisa kann das für Paul gefährlich werden. Die ständige Selbstverurteilung, das innere Kämpfen und der Stress können sein Leben verkürzen, um 11 bis 13 Jahre.
Paul und Lisa haben beide eine Erkrankung, die ihre Gesundheit und ihr Leben beeinflusst. Aber während Lisa Unterstützung erfährt, wird Paul dafür kritisiert, etwas zu haben, das er sich nicht ausgesucht hat. Es ist Zeit, auch Paul das Verständnis und die Akzeptanz zu geben, die er verdient – wenn andere das nicht tun, fängt er selbst am besten sofort damit an, damit er lernen kann, sein „Insulin“ ohne Schuldgefühle zu nutzen.
PS: die Namen sind natürlich fiktiv. Genauso wie die Symptome. Es passt aber auch, wenn man “unaufmerksam” oder “verpeilt” nimmt.