Zum Beispiel mit Politessen

Wie erklärt man sich, dass man es einfach nicht aus den negativen Gedankenschleifen rausschafft? Wie werden wir die ewig gleichen oder sehr ähnlichen Muster los, die uns immer wieder auf unsere Defizite und Misserfolge, unsere Fehler und Macken, unsere sozialen Inkompetenzen stoßen?

Zum Beispiel mit Politessen 😉

“Wie soll das denn gehen?” ist wahrscheinlich jetzt die erste Frage, die sofort da war.

Indem wir uns mal ihren Alltag anschauen.

Politessen haben Aufgaben. Eine ist, beim Laufen durch die Straßen falsch parkende Autos zu entdecken und diesen dann Strafzettel anzupappen. Das machen Politesse sehr häufig, und sehr gewissenhaft, wie der/die eine oder andere Autofahrer:in mit Sicherheit weiß, weil er oder sie schon mal für Falsch-Parken gezahlt hat.

Im Rahmen ihrer Aufgaben trainieren Politessen ihr “Falsch-Parker-Adlerauge”. Wenn sie zu Beginn vielleicht noch oft dran vorbei schauen, perfektioniert sich im Laufe der Zeit die Fähigkeit, gar nicht lange schauen zu müssen, sondern die Falschparker beim flüchtigen Blick die Straße entlang auszumachen, um sich so die Sucherei zu ersparen. Sie werden darin Vollprofis.

Wenn nun eine Politesse in ihren wohlverdienten Urlaub geht, kann sie diesen an den schönsten Orten der Welt verbringen, in den tollsten Hotels, mit dem besten Service. Sobald sie ihre Unterkunft verlässt und die Straßen ihres Urlaubsortes entlang läuft, fällt mit Sicherheit ein Teil ihrer möglichen schönen Eindrücke der Tatsache zum Opfer, dass sie auch an diesen Orten ohne viel eigenes Dazutun eines immer im Blick hat: die falsch parkenden Autos. Sie ist darauf so trainiert, dass ihr diese Fahrzeuge instant auffallen und sie sie registriert. Und da das normalerweise ja ihr “täglich Brot” ist, passiert das nicht selten noch vor der Wahrnehmung schönerer Gegebenheiten.

So, und nun zu uns ADSler:innen. Wir haben solche Politessen im Kopf. Mitarbeiter:innen, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als unsere Scheitereien, unsere Schwächen, unsere Unfähigkeiten zu registrieren und zu speichern. Die Politesse bekommt haargenau mit, wenn wir unsicher reagieren, was falsches oder dummes sagen, eine komische Bewegung machen, tollpatschig sind oder anderweitig wieder unsere negativen Seiten zeigen.

Wir haben unsere Politesse genau darauf perfekt geschult. Sie kann uns quasi im Schlaf vorbeten, wann und wo wir wieder selbst unsere Defizite nach außen offensichtlich gemacht haben. Und da sie NUR DAS kann, nimmt sie natürlich überhaupt nichts Positives wahr, was wir zwar ohne Wenn und Aber auch erleben, aber dadurch gar nicht merken. Und je länger unsere Politesse mit uns unterwegs ist, umso besser und kleinteiliger wird sie beim Ausführen ihrer Aufgabe, und umso mehr haben wir das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu schaffen, keine positiven Erlebnisse mehr zu haben, und einfach alles zu verkacken.

Um nun diese Fähigkeiten gewinnbringend nutzen zu können, braucht es Zeit. Man muss der eigenen Politesse eine andere Aufgabe geben, und das muss man langsam machen. Wenn man erwartet, dass sie von jetzt auf sofort einfach mal was anderes macht, nein, sie pocht erst mal auf ihren mit uns geschlossenen Arbeitsvertrag. Deshalb ist es wichtig, sie in ganz kleinen Schritten in ihre neue Aufgabe einzuführen, indem man die Erwartung an sie wirklich klein hält.

Es ist durchaus eine sehr gute Übung, sich erstmal für einige Woche vorzunehmen, dass die Politesse Abends nur ein bis zwei positive Ereignisse in Erinnerung rufen können soll. Und ja, auch wichtig ist die Definition von “positiven Ereignissen”. Es ist nicht der eine, große Sechser im Lotto, der das Glück bringt. Zum einen stehen die Chancen dazu gar nicht mal so gut, und zum anderen gibt es mehr als genug Lotto-Millionäre, die alles sind, aber nicht unbedingt glücklich. Aber der Geruch beim Öffnen eines neuen Pakets Kaffee, eine freundliche Geste beim Bäcker oder auch eine Begegnung mit einem Schmetterling können zu den vielen kleinen Glücksmomenten gehören, die in Summe einen ziemlich schönen Tag ausmachen, wenn wir sie wahrnehmen (können).

Und nach und nach steigert man dann die Herausforderung für die Politesse. 3 schöne Erlebnisse, 5, 8, 12 usw. Und irgendwann ist es so, dass man das gar nicht mehr zahlenmäßig vorgeben muss, und dann fließen die positiven Erlebnisse und überholen die negativen. Dann ist man dort angekommen, wo das Ziel liegt: jeden Tag feststellen, dass das Leben immer mehr glückliche Momente bietet als unglückliche. Man muss das nur merken.

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